
Fallstricke bei bedingten Antrittsprämien (Sign-on Bonus): Lehren aus dem Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts
- Juni 2025
Ein aktuelles Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts könnte die Flexibilität von Arbeitgebern bei der Gestaltung von Antrittsprämien oder Retentionsboni erheblich einschränken. Selbst Zahlungen, die als Ausgleich für entgangene Vorteile gedacht sind, können als „Lohn“ qualifiziert werden – und damit nicht oder nur einschränkend mit Zahlungs- und/oder Rückzahlungsbedingungen verknüpft werden können. Dieser Beitrag beleuchtet die rechtlichen Überlegungen des Gerichts und erörtert die praktischen – und potenziell problematischen – Konsequenzen für Schweizer Arbeitgeber.
Hintergrund:
Mit dem Urteil BGer 4A_506/2023 vom 19. Februar 2025 bekräftigte das Bundesgericht einen zentralen Grundsatz des schweizerischen Arbeitsrechts: Lohnzahlungen dürfen nicht davon abhängig gemacht werden, dass ein Arbeitsverhältnis zu einem bestimmten Zeitpunkt noch besteht. Anders verhält es sich bei Gratifikationen, bei denen solche Bedingungen zulässig sind.
Besonders relevant ist dieses Urteil im Zusammenhang mit Antrittsprämien, die häufig an die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu bestimmten Zeitpunkten geknüpft sind. Das Gericht erweiterte seine bisherige Rechtsprechung auf solche Konstellationen – selbst wenn die Zahlung kompensatorischer Natur war und nicht als Entgelt für zukünftige Leistungen gedacht war. Im Kern ging es um die Anwendung des Lohnschutzprinzips auf Antrittsprämien.
Sachverhalt:
Der Fall betraf einen Mitarbeiter eines Ölhandelsunternehmens, dem eine Antrittsprämie von CHF 700’000 zugesagt worden war – zahlbar in drei gleich hohen Tranchen:
• bei Stellenantritt (02.09.2019),
• nach 12 Monaten,
• nach 24 Monaten.
Wichtig dabei ist, dass die Zahlung nicht als Vergütung für zukünftige Arbeit diente, sondern als Ausgleich für Aktienanteile und andere Vorteile, auf die der Mitarbeiter verzichtete, weil er ein anderes Stellenangebot ausschlug. Ziel war es, diesen Verlust auszugleichen und dem Arbeitnehmer für den Wechsel zum neuen Arbeitgeber einen zusätzlichen Anreiz zu geben.
Das Arbeitsverhältnis wurde durch den Arbeitgeber per 31. August 2020 beendet – also einen Tag vor Fälligkeit der zweiten Tranche.
Während die Vorinstanzen die Zahlung als Gratifikation einstuften, kam das Bundesgericht zu einem anderen Schluss: Die Zahlung sei vertraglich fixiert und verbindlich gewesen – und daher als Lohn gemäss Art. 322 OR zu qualifizieren. Da die Auszahlung in fixen Intervallen und unabhängig vom Ermessen des Arbeitgebers erfolgte, sei sie nicht an den Verbleib des Arbeitnehmers im Unternehmen anknüpfbar.
Diese Qualifikation war entscheidend: Als Lohnbestandteil durfte die Zahlung nicht von einer Weiterbeschäftigung abhängig gemacht werden. Der Mitarbeiter hatte daher Anspruch auf eine anteilige Auszahlung der zweiten Tranche bis zum Kündigungszeitpunkt.
Zentrale Erkenntnisse aus dem Urteil:
Klare Abgrenzung zwischen Lohn und Gratifikation
Das Bundesgericht stellte klar: Die CHF 700’000 waren nicht ermessensabhängig, sondern im Voraus vereinbart und terminiert – und somit Lohn. Dies steht im Einklang mit Art. 322 OR, wonach Lohn als Gegenleistung für erbrachte Arbeit zu verstehen ist.
Bedingungen für Lohnzahlungen sind unzulässig
BGer: „Lohnzahlungen dürfen nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Arbeitnehmer noch angestellt ist oder das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt hat.“
Dies entspricht der gefestigten Rechtsprechung (z. B. BGer 4C.426/2005 vom 28.02.2006), wonach Bedingungen, die den Verbleib im Arbeitsverhältnis betreffen, bei Lohnansprüchen ungültig sind. Der Grund: Lohn ist eine Kernpflicht im Arbeitsverhältnis und muss für geleistete Arbeit bezahlt werden – unabhängig vom Status des Arbeitsverhältnisses zu einem späteren Zeitpunkt.
Anspruch auf anteilige Auszahlung
In diesem Sinne bestätigte das Gericht, dass Lohnansprüche anteilig erworben werden. Da der Arbeitnehmer bis 31. August 2020 gearbeitet hatte, hatte er Anspruch auf einen proportionalen Anteil der zweiten Tranche – jedoch nicht auf die dritte, die sich auf eine Zeit nach Vertragsende bezog.
Kritische Überlegungen zur Qualifikation als Lohn
Obwohl das Bundesgericht die Antrittsprämie als Lohn qualifizierte, ist diese Einordnung nicht zwingend. Die Umstände sprechen dafür, dass die CHF 700’000 einen Ausgleich für entgangene Beteiligungen aus einer früheren Tätigkeit darstellen – also eine Übergangsleistung bzw. Schadenersatzzahlung, nicht aber ein Entgelt für aktuelle oder zukünftige Arbeit darstellt.
Warum sollte eine solche, klar kompensatorische, Zahlung als Lohn qualifiziert und somit dem Bedingungsverbot unterstellt werden?
Diese Sichtweise ist kritikwürdig:
• Sie verwischt die Grenze zwischen Lohn (als Gegenleistung für Arbeit) und Schadenersatz bzw. Anreizsystemen im Zusammenhang mit einem Stellenwechsel.
• Sie vernachlässigt das legitime Interesse von Arbeitgebern, Antrittsprämien und Retentionsboni so zu gestalten, dass sie Treue und Kontinuität fördern.
• Sie erhöht das Risiko, dass jede vertraglich klar definierte Zahlung automatisch als Lohn gilt – selbst wenn der Zweck ein anderer war.
Folgen für Anreizsysteme und Bonusgestaltung
Diese Auslegung könnte weitreichende Folgen haben:
• Retentionsboni, die an Treue oder Beschäftigungsdauer geknüpft sind, könnten bei zu klarer Definition rechtlich problematisch werden.
• Leistungsboni mit festen Zielen und Zahlungsterminen könnten ebenfalls als Lohn gelten – es sei denn, die Ermessensfreiheit wird ausdrücklich betont.
Solange keine Klarstellung durch Gesetzgebung oder weitere Rechtsprechung erfolgt, schafft dieses Urteil Rechtsunsicherheit für Arbeitgeber, die durch solche Boni Anreize setzen wollen.
Empfehlungen für die künftige Gestaltung von Antrittsprämien und Retentionsboni
Arbeitgeber, die Flexibilität wahren und Rechtsrisiken vermeiden möchten, sollten entsprechende Klauseln präzise formulieren und den Charakter der Zahlung klarstellen.
Wichtige Gestaltungsüberlegungen:
• Explizite Bezeichnung als ausserordentliche Entschädigung oder Nicht-Lohnzahlung.
• Vermeidung fixer Termine und Beträge – es sei denn, die Zahlung soll tatsächlich als Lohn gelten.
• Klare Formulierung eines Ermessensspielraums, falls dies gewünscht ist.
Praktische Implikationen für Arbeitgeber
Dieses Urteil unterstreicht die Notwendigkeit, ausserordentliche Zahlungen korrekt zu kategorisieren und zu dokumentieren. Auch wenn die Argumentation des Gerichts konsequent ist, wirft sie Fragen zur Praxisrelevanz auf – insbesondere, wenn Antrittszahlungen vergangene Verluste ausgleichen oder künftige Leistungen fördern sollen.
Arbeitgeber müssen künftig stärker unterscheiden zwischen:
• freiwilligen, ermessensbasierten Boni, die an Leistung oder Verbleib geknüpft sind, und
• vertraglich fixierten Vergütungen, die unabhängig vom Bestand des Arbeitsverhältnisses geschuldet sind.
Fazit
Das Bundesgericht bekräftigt eine strenge Auslegung des Lohnschutzes. Gleichzeitig scheint das Urteil die Grenze zwischen Lohn und anderen, zweckgebundenen Zahlungen zu verwischen – insbesondere bei Antrittsprämien, die nicht auf erbrachte Arbeit zielen, sondern Entschädigung und Bindung als Zweck haben.
Arbeitgeber tun gut daran, die vertragliche Ausgestaltung von Bonuszahlungen sorgfältig zu prüfen – nicht nur hinsichtlich des Inhalts, sondern auch der Form –, um eine ungewollte Lohnqualifikation zu vermeiden.
Über die Autorin:
Kamila Pudlo ist Legal Counsel bei Littler Switzerland.
Sie können sie unter +41 44 219 60 64 oder kamila.pudlo@littler.ch erreichen.